|  | Die Frage, die am Anfang jeder Filmkritik stehen 
                    sollte, vor jeder Reflexion und Rezension, lautet: Was ist 
                    hier zu sehen? Die zweite Frage hinterfragt die erste. Sie 
                    lautet: Kann die erste Frage überhaupt beantwortet werden? 
                    Oder anders gefragt: Kann das Gesehene so beschrieben werden, 
                    daß es in der Beschreibung wiederzuerkennen ist?
 Versuchen wir es: Die Kamera blickt geradeaus durch die Windschutzscheibe 
                    eines rasenden Autos. Nach ungefähr einer Minute ein 
                    Schnitt auf das Innere eines offenen Cabrios. Die Kamera fährt 
                    zurück, irgendwo liegt eine Zigarette, aus der Rauch 
                    nicht aufsteigt, sondern absinkt, woran wir erkennen, daß 
                    die Bilder hier rückwärts laufen. Aus dem off die 
                    Stimme einer Radiosprecherin, die in Englisch von einem Unfall 
                    berichtet.
 Soweit der Versuch, die erste Frage zu beantworten. Lassen 
                    wir die zweite Frage vorerst beiseite und gehen zur dritten: 
                    Was hat das zu bedeuten?
 
 Grünfelder interessiert sich in Rallye für die filmische 
                    Konstruktion der Zeit, für die Vielfalt an Relationen, 
                    die der Schnitt ermöglicht. Was war zuerst, was danach, 
                    haben die beiden Einstellungen überhaupt miteinander 
                    zu tun, produziert der Film Narration, ist der Unfall nicht 
                    eher ein Un-Fall im Sinne einer nicht stattfindenden Geschichte?
 
 Rallye ist kein Experimentalfilm, denn er weiß, was 
                    er will. Grünfelder will nicht mißverstanden werden, 
                    er versteht den Film als intellektuelles Konstrukt, als Beitrag 
                    in einem unendlichen Diskurs, und die Menge dessen, was er 
                    zu sagen hat, steht in umgekehrten Verhältnis zur Kürze 
                    des Films. Diese Art der filmischen Bewußtseinsverhandliung 
                    mag verdienstvoll sein, in ihrer Wirkungsbreite ist sie freilich 
                    von vornherein limitiert, da das Endprodukt meist so sinnlich 
                    ist wie acht Semester höhere Mathematik. Dennoch könnte 
                    man, gerade zur Dekonstruktion der Kommunikationn, noch viel 
                    sagen, ohne der Sache näherzukommen, was widerum in der 
                    Natur der Sache liegt - insofern sollte die Kritik eines solchen 
                    Films kein kurzer Text, sondern eher ein langer Film sein. 
                    Vielleicht auch eine Performance, eine Installation oder eine 
                    Doktorarbeit.
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